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Mein Vater und die Quernst

(Aus den Erinnerungen unseres Landarztes Rainer Schütz, 1990)

 

 „Was hat mein Vater mit der Quernst zu tun“ werden viele fragen. Mein Vater war 37 Jahre lang Landarzt in einer 1500-Seelengemeinde. Jetzt ist er 75 Jahre alt und studiert schon seit sieben Jahren Geschichte. Immer wenn meine Kinder bei den Großeltern zu Besuch waren, sagte mein Vater: „Ach, bei Euch in Frankenau, da ist ja nichts los; da ist die Welt mit Brettern zugenagelt.“ Mein Vater ist immer sehr direkt.

 

Jedesmal wenn meine Kinder das erzählten, ärgerte ich mich grün und blau. Bei uns in Frankenau soll nichts los sein? Feriendorf und so? „Ach moderner Urlaubsrummel“, sagte er. Nette Menschen und so? „Haben wir hier auch“, sagt er. Gatter mit Hirschen und so? „Alles eingezäuntes Schlachtvieh“ sagt er – und als alter Jäger kennt er sich aus! „Wir haben noch Wild“, ergänzt er dann provozierend.

 

Es kam die Zeit, dass ich und meine Kinder nur noch mit Komplexen im Kofferraum zu meinen Eltern fuhren. Wir hatten aber auch gar nichts zu bieten. Eines Tages erzählte mir mein Vater von interessanten Ausgrabungen, die im Wald in der Nähe von Dreihausen unter der Leitung der Universität Marburg durchgeführt wurden. Kleinlaut erwähnte ich nebenbei, dass in der Nähe von Frankenau, im Wald, eine sehr alte Kirche mal gestanden hätte.

 

Plötzlich setzte sich mein Vater kerzengerade in seinem Sessel auf: „Waaas, „fragte er, „Überreste einer alten Kirche? Im Wald? Ist da etwa eine der Waldkirchen, die in Hessen um das 8. Jahrhundert an alten germanischen Kultstätten errichtet worden sind?“ Ich konnte es kaum fassen, wie hellhörig der Großvater plötzlich wurde; sonst hört er nämlich selten, was er hören soll!

 

Voll Stolz setzte ich mich jetzt kerzengerade auf. Merkte ich doch, ‚der Alte’ wurde heiß, heiß auf Frankenau. „Weiß ich nicht“ antwortete ich, innerlich wieder zusammensinkend, „aber ich werde mich informieren.“ Da wurde der Großvater spöttisch: „Mensch, 13 Jahre lebst Du jetzt in Frankenau und weißt nichts von dieser Kirche?“

 

„Na, ja, keine Zeit“, und .“ Ich hab’ da mal was läuten gehört“, versuchte ich mich zu verteidigen. Im Hinterkopf dachte ich: “Heute darf sich ein Arzt nur um seine Patienten kümmern. Was würden die Leute sagen, wenn ich gar zur Jagd ginge, wie ‚mein Alter’ damals?“ Auf jeden Fall: Großvater machte mir klar, was die Quernst für Frankenau und den Fremdenverkehr bedeuten könnte: Eine Attraktion! Von Brettern und zugenagelter Welt keine Rede mehr. Ich habe mich dann informiert und schließlich ihn.

 

Er meinte, „wenn Ihr es klug anfangt – Ihr habt ja schließlich gute Leute da oben, die sich dafür interessieren – und der Sache gründlich nachgeht, dann habt Ihr mehr für den Fremdenverkehr getan als wenn Ihr 3 ¾ Erlebnisbäder oder 1,5 Reithallen in die Gegend setzt.  „Was glaubt Ihr“, fuhr er fort, „wie viele Menschen, Universitäten, Schulen sich für so etwas interessieren?“

 

„Denk doch mal nach, ganz Italien und Griechenland leben vor allem von ihren Altertümern. Wenn es die nicht geben würde, wäre Rimini nur halb so bekannt“. Da war ich doch stolz auf Frankenau. Zwar haben wir kein Forum Germanicum und keine Germanopolis, aber wir haben die Quernst! Und mein Vater war plötzlich ganz heiß auf eine alte Kultstätte im Wald.

 

Aber er warnte zugleich:“ Ihr Frankenauer, seht zu, dass Ihr den Leuten klar macht, welchen Wert eine solche Kultstätte hat. Seht zu, dass Ihr weitere Fachleute für das Projekt gewinnen könnt. Das ist billiger als eine Rennbahn. Wenn aus der Quernst erst einmal eine Mopedrennstrecke geworden ist, und Ihr Eurer Jugend nicht klar machen könnt, was diese Kirchenreste wirklich bedeuten, dann seid Ihr so arm wie vorher, selbst wenn Ihr noch’ne Drachenfliegerschule aufmacht.