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Pflege und Instandhaltung jüdischer Friedhöfe als staatliche und kommunale Aufgabe

Jüdische Friedhöfe sind heute noch an vielen Orten sichtbare Zeugen einer jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte von Juden und Christen in Deutschland, die in der NS-Zeit ein jähes und schreckliches Ende fand. In Nord- und Osthessen, dem Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Kassel, existieren noch 104 jüdische Friedhöfe, 22 davon befinden sich in Waldeck-Frankenberg. Ihre lokale Verteilung ist jedoch recht unterschiedlich. So gibt es beispielsweise im Bereich der Stadt Bad Arolsen vier Begräbnisstätten (Kernstadt, Helsen, Landau und Mengeringhausen), in anderen Kommunen sucht man sie dagegen vergebens.

 

Jüdische Friedhöfe liegen aus rituellen Gründen in der Regel weit außerhalb der festen Ortsbebauung und wurden oft von mehreren Gemeinden benutzt, daher bestand auch keine Notwendigkeit, in jedem Ort einen Friedhof zu haben.

 

Im Gebiet des heutigen Landkreises Waldeck-Frankenberg haben alle jüdischen Friedhöfe die NS-Diktatur überdauert, auch wenn es, z.B. in Volkmarsen oder Vöhl, erhebliche Zerstörungen gegeben hat. Mit erhalten gebliebenen bzw. restaurierten Grabsteinen konnten diese Friedhöfe jedoch in Teilen wieder rekonstruiert werden.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Pflege und Instandhaltung jüdischer Friedhöfe eine staatliche bzw. kommunale Pflichtaufgabe, da es keine Gemeinden mehr gab, die diese Arbeiten übernehmen konnten. Rechtsgrundlage für den Erhalt jüdischer Friedhöfe ist die „Richtlinie für die Sicherung und Betreuung der jüdischen Friedhöfe in Hessen“.

 

Für die Pflege der jüdischen Friedhöfe werden den Standortgemeinden jährlich Pauschalen zur Verfügung gestellt, deren Verwendung durch Ortsbesichtigungen und Protokolle belegt werden muss. Zuständig dafür ist in Nordhessen das Regierungspräsidium Kassel, das in diesem Bereich eng mit den Landkreisen und Kommunen kooperiert. Außerdem werden in der Regel Fachleute hinzugezogen wie etwa Steinmetze oder Gärtner, und der Landesverband der jüdischen Gemeinden entsendet seinen Friedhofsbeauftragten, Herrn Professor Dr. Klaus Werner (Obertshausen), als Berater bei wissenschaftlichen und kultischen Fragen.

 

Die Kommunen erhalten 60 Cent pro Quadratmeter als Pflegepauschale. wobei die Größe der Friedhöfe eine enorme Bandbreite aufweist. Der kleinste jüdische Friedhof im Regierungsbezirk liegt in Waldeck und umfasst knapp 100 qm. Der größte mit ca. 30.000 qm befindet sich in Kassel. Für Restaurierungsarbeiten stehen im Budget des Regierungspräsidiums noch einmal knapp 500.000 Euro zur Verfügung. Auch Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke hat bei seinen regelmäßigen Besuchen in den Landkreisen häufig den Besuch jüdischer Friedhöfe mit auf dem Programm.

 

Im Landkreis Waldeck-Frankenberg finden mindestens zweimal im Jahr Bereisungen jüdischer Friedhöfe statt. Zuletzt wurden die Friedhöfe in Frankenberg, Frohnhausen, Battenfeld, Frankenau, Altenlotheim, Gemünden und Grüsen besichtigt. Seitens des RP nahm der zuständige Sachbearbeiter Jochen Petzold teil, der Kreis wurde durch den Abteilungsleiter Recht, Kommunalaufsicht und Ordnung, Thomas Vorneweg, und seine Mitarbeiterin Sabine Scheuermann repräsentiert. Bei jeder Besichtigung waren sowohl Vertreter der Gemeindeverwaltungen anwesend als auch der jeweiligen Bauämter, zu deren Aufgaben die Pflege und Instandhaltung der Begräbnisstätten zählt.

 

Als fachlicher Berater begleitete neben Professor Dr. Werner auch Steinmetz Christoph Schindler (Obertshausen) die Sachverständigengruppe.

 

Beim Besuch der jüdischen Friedhöfe sind die rituellen Vorschriften zu beachten. So dürfen sie nicht am Sabbat oder bestimmten Feiertagen betreten werden und männliche Besucher, auch nichtjüdische, sind angehalten, eine Kopfbedeckung zu tragen. Sollte einmal keine zur Hand sein, so hat Sabine Scheuermann von der Kreisverwaltung immer einige Kippot in Reserve (die Kippa, Mz. Kippot, ist die kreisrunde Kopfbedeckung männlicher Juden, die in der Regel beim Gebet oder bei kultischen Handlungen getragen wird).

 

Im Judentum werden Friedhöfe auch als Beth Hachaim (Haus des Lebens) oder Beth Olam (Ewiges Haus) bezeichnet. „Daraus ergibt sich, dass jüdische Friedhöfe keine begrenzten Ruhezeiten haben und die Gräber bis zur erwarteten Ankunft des Messias erhalten bleiben müssen“, erläutert Professor Dr. Klaus Werner. „Auch wenn es keinen Blumenschmuck auf jüdischen Friedhöfen gibt und die Pflegegewohnheiten andere sind als auf christlichen Begräbnisanlagen, so ist doch die verbreitete Meinung, jüdische Friedhöfe müssten dem natürlichen Verfall überlassen werden nicht korrekt“. Deshalb seien auch die regelmäßigen Besichtigungs- und Informationstouren notwendig.

 

Zum Glück, so berichteten Abteilungsleiter Thomas Vorneweg und Sachbearbeiterin Sabine Scheuermann übereinstimmend, gibt es in Waldeck-Frankenberg so gut wie keine Fälle von Vandalismus auf jüdischen Friedhöfen. Dennoch vermeiden einige Gemeinden in Karten oder Stadtplänen den Hinweis auf die jüdischen Begräbnisstätten, um nicht ungewollte Aufmerksamkeit zu erregen. „Wer aber ein echtes wissenschaftliches oder persönliches Interesse hat, kann die Friedhöfe natürlich jederzeit besuchen“, betont Jochen Petzold vom Regierungspräsidium. „Bei den Stadt- und Gemeindeverwaltungen kann man sich über die Zugangsmöglichkeiten informieren“.

 

In der Regel gibt es an jedem Friedhofseingang auch ein Informationsblatt, das über religiöse und kultische Regeln informiert, die zu beachten sind.

 

Erfreulich sei es, dass immer mehr Schulen jüdische Lokalgeschichte in die Lehrpläne aufnehmen. Die Friedhöfe seien dabei gefragte Lernorte.

 

Erstaunlich sind die Vielfalt und die Dimensionen der einzelnen Friedhöfe. Es gibt sehr kleine mit nur wenigen erhaltenen Gräbern etwa in Grüsen oder in Altenlotheim, sowie recht große wie in Gemünden, der sich weit außerhalb der Stadt in einer extrem steilen Hanglage befindet. Auch für jüdische Friedhöfe wurden, wie bei ihren christlichen Pendants, in der Regel Flächen gewählt, die für eine landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet sind, erläuterte Friedhofsexperte Prof. Dr. Werner.

 

Thomas Vorneweg, Leiter der Abteilung Recht, Kommunalaufsicht und Ordnung bei der Kreisverwaltung unterstrich noch einmal, dass der Erhalt und die Sicherung der jüdischen Friedhöfe eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung seien, der man aber aufgrund historischer Entwicklungen und humanistischer Ideale selbstverständlich gerne nachkomme.

 

Die nächste Bereisung jüdischer Friedhöfe in Waldeck-Frankenberg wird noch im Laufe des Spätsommers oder Herbstes stattfinden.

 

 

Auf dem Gruppenfoto sind zu sehen:

 

Hintere Reihe (v.l.n.r.): Thomas Vorneweg (LK), Christoph Schindler (Steinmetz), Bürgermeister Björn Brede, Dirk Böhle (Stadt Frankenberg), Thomas Tönges (Leiter Bauamt Stadt Frankenau), Marcel Ulrich (Bauamt Stadt Frankenau). Vordere Reihe (v.l.n.r.): Prof. Dr. Klaus Werner, Sabine Scheuermann (LK), Jochen Petzold und Benjamin Schollmeyer (beide RP).

 

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Veröffentlichung

Frankenau
Mo, 30. Juli 2018

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